Die Herren von Güssing
Zu den mächtigsten Grundherren im heutigen burgenländischen Raum zählten die Herren von Güssing. Ihre Vorfahren, die Brüder Wolfer und Hedrich, waren im 12. Jahrhundert aus der Steiermark nach Ungarn gekommen und stellten sich in den Dienst des Königs. Wolfer wurde zum Ahnherrn der Güssinger, Hedrich zum Ahnherrn der Hedervary, wodurch sie großen Einfluss im Raume Raab/Györ gewannen.
Ein Mittelpunkt der Güssinger Herrschaft wurde der Burgberg von Güssing, wo Wolfer im Jahre 1157 eine hölzerne Burg und ein Benediktinerkloster errichten ließ. Von hier aus betrieben sie für fast zweihundert Jahre Machtpolitik, indem sie die jeweilige politische Situation im Königreich für sich ausnutzten und allmählich die mittleren und kleineren Grundherrschaften in ihren Besitz brachten.
Die Güssinger beherrschten gegen Ende des 13. Jahrhunderts den Großteil des westungarischen Grenzraumes sowie Gebiete in der heutigen Slowakei und in Slawonien. Unter anderem gehörten die Burgen und Herrschaften Bernstein, Schlaining, Pinkafeld, Güns (Köszeg), St. Veit (Velem) und Lockenhaus zum ausgedehnten Güssinger Herrschaftsbesitz. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts teilte sich das Geschlecht der Güssinger in drei Linien: in die Bernsteiner Linie, in die Lockenhauser Linie und in die Rechnitzer Linie.
Als zu Beginn des 14. Jahrhunderts nach dem Aussterben der Arpaden Karl I. Robert, aus dem Hause der italienischen Anjous, ungarischer König wurde, wollten die Güssinger und anderen mächtige Adelsgeschlechter die Königsgewalt schwächen. Aber im Kampf mit dem neuen König unterlagen schließlich die Güssinger. In ihre wichtigsten Burgen und Grenzbefestigungen setzte der König seine Kastellane und Burghauptleute ein. Am Ende des 14. Jahrhunderts übergab König Sigismund, aus dem Hause der Luxemburger, die Burgen und Herrschaften Güssing und Güns an Ladislaus von Sàrò. Dessen Nachkommen, sie nannten sich Leva, besaßen Güssing über ein halbes Jahrhundert. In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts eroberte Nikolaus Ujlaki im Zuge der Grenzwirren die Burg Güssing. Hier wurde Kaiser Friedrich III. von unzufriedenen ungarischen Magnaten zum Gegenkönig in Ungarn gewählt. Aber die aufrührerischen Magnaten wandten sich bald darauf von Kaiser Friedrich III. ab und gingen zum ungarischen König Mathias I. Corvinus über. Dieser belehnte schließlich Mathias Ujlaki mit Burg und Herrschaft Güssing. Als einer seiner Nachkommen ohne direkten Nachfolger verstarb, belehnte der ungarische König Ludwig II. seinen Obermundschenk Franz Batthyàny und dessen Neffen Christoph mit der Güssinger Herrschaft.
Die Herkunft der Güssinger
Über Abstammung und Herkunft der Güssinger gibt es keine Urkunden. Nach der Chronik des Simon von Kéza kamen die Brüder Heidrich und Wolfer "de Vildonis" in der Steiermark, zusammen mit 40 "Rittern" nach Ungarn und erhielten von König Geza II. Besitzungen bei Raab, Wolfer auch einen Besitz "in monte Kiscin pro descensu", also einen Wohnsitz in Güssing, wo er sich eine Holzburg erbaute. Nach H. Dopsch sind die Vorfahren der Güssinger mit einem anderen bayerisch-österreichischen Adelsgeschlecht in Verbindung zu bringen. (H.Dopsch, Die Hengstburg, Wildon und die Herkunft der Grafen von Güssing. In: Die Güssinger. Wiss. Arb. aus dem Bgld 79, S. 185-195)
Heydrich und Wolfer: Die ersten "Grafen von Güssing"
Streng genommen darf man die Familie, die im Werden unseres Landes eine so wichtige Rolle spielte, weder "Grafen" noch "von Güssing" nennen. Das ungarische "Comes" meint den Gespan, den Befehlshaber einer Komitatsburg. Der Hauptsitz der Familie aber war nicht Güssing, sondern Güns. In der ungarischen Forschung wird die Familie auch nicht die "Güssinger", sondern die "Günser" (Köszegi) genannt. In den Urkunden werden sie als Heyderici oder "genus Heydrich", in moderner Form Héder genannt. Ein anderer Zweig, später Hédérvary genannt (Heidenreichsthurn), war im Komitat Raab reich begütert.
Der Aufstieg der Brüder Heidrich und Wolfer muss sehr rasch erfolgt sein, sie gehörten offenbar zu den Vertrauten des Königs. Wolfer etwa führte im Auftrag des Königs Verhandlungen mit dem Erzbischof von Salzburg, Heidrich nahm 1158 am Deutschen Reichstag teil. Schon 1135 erscheint Heidrich in einer Urkunde als Gespan des Komitates Ödenburg, 1142 als Hofrichter und 1162 als Palatin.
1157 erfolgte die Gründung des Güssinger Klosters. Wolfer errichtete im Ort "Quisun" ein Kloster zu Ehren der Heiligen Maria und unterstellte es der Erzabtei St. Martinsberg (Pannonhalma). Das Kloster erhielt eine überaus reiche Ausstattung aus den Besitzungen der Familie in der Umgebung. Der geschenkte Grundbesitz war mit Eigenleuten ausgestattet, dazu kamen 46 Erwachsene und Kinder und je 5 Sklaven und Sklavinnen. Frau Lindeck- Pozza, eine der besten Kennerinnen des Urkundenmaterials, hält es für möglich, dass damals die Sklaverei noch üblich war und führt mehrere Belege an. Die Sklaven trugen slawische Namen.
Das Kloster Quizun - Güssing wurde unter König Bela III. (1173-1196) eingezogen und an seiner Stelle eine königliche Burg - vermutlich schon in der modernen, westlichen Steinbauweise - errichtet. Später wird in Güssing wiederholt ein "turris" erwähnt. Güssing war eine der wenigen Burgen, die gegen die Mongolen gehalten werden konnte. Der Sohn des Stifters von Güssing erhielt als Ersatz für die Patronatsrechte über sein Kloster die Patronatsrechte über das Kloster von Kapornak. Entschädigt musste auch die Erzabtei St. Martinsberg werden. Dieser Prozeß zog sich aber sehr lange hin. Die Benediktinerabtei erhielt schließlich Königsgut für Güssing.
Die Güssinger kamen offenbar nicht nur mit ihrem ritterlichen Gefolge nach Ungarn. Sie begannen schon bald mit der Kolonisation des Landes durch deutsche Bauern. In einer Urkunde aus dem Jahre 1198, eine Bestätigung des Besitzes der Klosters von St. Gotthard durch König Emmerich, wird eine Schenkung in Heiligenbrunn ( in territorio Novi Castri circa Fontem Sacrum" ) erwähnt und die Bewohner angegeben. Sie tragen durchwegs deutsche Namen. Aus dem Jahre 1330 gibt es eine Königsurkunde, die über die Besiedlung von Spanfurt bei Lutzmannsburg berichtet. Manche Indizien sprechen dafür, dass die "jobagiones", die Bauern, zwar an Grund und Boden gebunden, aber keineswegs wie zumeist jenseits der Grenze Leibeigene waren. Zumindest hatten sie oft das Recht, mit ihrem gesamten Hab und Gut abzuziehen. "Jobagionen" ist ein nicht übersetzbarer Begriff, er meinte ursprünglich die königliche Burgbesatzungen, wurde später aber auch auf bestimmte Bauern angewandt.
Die beiden folgenden Generationen, Heidrichs Sohn Heinz und dessen Söhne Michael, Heinrich I. und Wernhard (von den Ungarn 'Virunt' geschrieben) bekleideten keine Landeswürden. Erst in der nächsten Generation, unter Heinrich II., den man auch "den Großen" nennt, erfolgte dann der weitere Aufstieg. Wolfers Sohn Heinz wird in einer Urkunde auch "Aenz" geschrieben. Aus der Verwendung der Kurzform Heinz für Heinrich kann man unter Umständen auf die Verwendung des Deutschen am Güssinger Hof schließen. Dafür und ganz allgemein für die kulturelle Bindung der Güssinger an den Westen kann man auch andere Belege finden. Von Michael und Heinrich, Heinz' Söhnen, wird berichtet, dass sie in ihrer Jugend im Ausland waren. Es könnte sein, dass sie während der Thronstreitigkeiten auf der Flucht waren.
Heinrich II. der Große
In den 1260er Jahren gab es einen heftigen Gegensatz zwischen König und Thronfolger. In diesem Kampf erfolgte der Aufstieg der Güns-Güssinger. Heinrich II. von Güssing stand auf Seiten des Königs. Er kommandierte das königliche Heer in der entscheidenden Schlacht König Belas IV. gegen seinen Sohn Stephan V. 1244 Gespan von Eisenburg, 1253 Hofrichter, 1260 Palatin. Letztere Würde musste er zwar nach einem Ausgleich zwischen den streitenden Parteien zwar wieder abgeben, er blieb aber Banus von Slawonien.
Die Anhänger Belas IV. und damit auch Heinrich von Güssing fürchteten aber den Zeitpunkt des Todes des Königs, denn damit erfolgte die Machtergreifung Stephans V. Bela IV. hatte für seine treuen Gefolgsleute insofern vorgesorgt, als er Ottokar von Böhmen verpflichtet hatte, diese für den Fall, dass sie fliehen mussten, aufzunehmen. Heinrich II. lief tatsächlich zu Ottokar über - aber mit all seinen Herrschaften und Burgen, insgesamt 11 Burgen und das dazugehörige Gebiet. Es scheint, als ob Heinrich diesen Schritt als endgültig angesehen hätte, denn er ließ sich von Ottokar belehnen und hatte den Wechsel offenbar auch gut vorbereitet: Er hatte eine böhmische Magnatentochter geheiratet. Als aber Stephan V. bald darauf starb, kehrte Heinrich II. unter die ungarische Krone zurück und mischte bald wieder in den folgenden Thronstreitigkeiten kräftig mit. 1274 fiel er. Besitzungen Heinrichs II. Er durfte zwei neue Burgen bauen: Güns und Schlaining, und wurde mit den beiden Burgen St.Veit und Bernstein belehnt. Balint Homan, einer der bedeutendsten Geschichtsschreiber Ungarns, charakterisierte Heinrich II. als "hemmungslos gewalttätig bis zur Grenze der Abenteurerei, ehrgeizig, Interessenjäger bis zur Erbarmungslosigkeit." Lindeck-Pozza findet etwas freundlichere Worte, sie erklärt die Grausamkeit Heinrichs aus dem Geist der Zeit:
" […] ein getreuer Ratgeber und Freund eines etwa gleichaltrigen Königs […], ein begabter Staatsmann und Heerführer, freilich auch ein Haudegen von offenbar sehr robuster Gesundheit und nichts weniger als friedfertiger Denkungsart. […] zahlreiche urkundliche Zeugnisse berichten über gewaltsam ausgefochtene Meinungsverschiedenheiten mit Standesgenossen, Überfälle, Plünderung gegnerischer Besitzungen, Besetzung fremden Gutes […]. Die Urkunden schildern genau, wie zum Beispiel der Wohnsitz eines Gegners überfallen und niedergebrannt wurde, dieser selbst aus der Kirche, in die er sich geflüchtet hatte, herausgezerrt und ihm 'turpiter' der Kopf abgeschnitten wurde, während die Frauen und Kinder in den Flammen umkamen […]. Auch Heinrich und seine Söhne waren nicht kriminelle Räuber, ihre Kämpfe waren politische Kämpfe um die Macht, die eben mit zeitgemäßen Mitteln ausgetragen wurden […]"
(Irmtraut Lindeck-Pozza, Die Herren von Güssing im Lichte der Urkunden. In: Die Güssinger. Wissenschaftl. Arbeiten aus dem Burgenland, Bd.79, Eisenstadt 1989, S. 66)
1271 besaß Heinrich von Güssing folgende Burgen: Bernstein, Güns, Gaas, St.Veit (bei Güns), die Burg Roy (nicht identifiziert, vermutlich im Leithagebirge), Neuhaus am Klausenbach und zahlreiche Burgen außerhalb des heutigen Burgenlandes. Schlaining wurde vermutlich von ihm erbaut. In Güns bestand schon früher vermutlich eine königliche Burg, die spätere mächtige Burg und die Stadt wurden wahrscheinlich von Heinrich II. und seinem Sohn Iwein gegründet bzw. mit einem Stadtrecht ausgestattet. 1271 erwarben die Güssinger auch Lockenhaus. Herrschaftsmittelpunkte aber waren Güns und Schlaining.
1279 kam es zu einer Besitzteilung zwischen den Söhnen Heinrichs II., Iwein (Johannes), Nikolaus und Heinrich III.
Nikolaus bekam Lockenhaus und St. Veit, Iwein Güns und Bernstein, Heinrich III. die Burgen in Slawonien. Ein vierter Bruder, Peter, war Bischof von Wesprim und unterstützte seine Familie nach Kräften. 1329 erwarb Nikolaus in einem Tauschgeschäft mit den Ják Rechnitz, die Burg mit der Siedlung, nachdem er zuvor schon einen Teil des Ortes erworben hatte. Später waren auch wieder Güssing und Kobersdorf im Besitz der Güssinger. Man weiß jedoch nicht, wie sie diese Burgen erworben haben. Bis zur Jahrhundertwende bekamen die Güssinger noch weitere 18 Burgen in ihren Besitz. Sie besaßen schließlich nahezu alle Burgen im Komitat Eisenburg und an der Grenze nach Westen, kontrollierten nahezu alle Straßen nach Westen. Immer häufiger wandten sie beim Erwerb der Burgen auch Gewalt an.
Die Güssinger übten ihre Herrschaft über einen großen Teil Ungarns mit Hilfe ihrer "familia" aus. Die "Familiarität" war eine Einrichtung im mittelalterlichen Ungarn, die dem westlichen Lehensverhältnis sehr nahe kam. Es gab jedoch offenbar auch einen wesentlichen Unterschied: die Familiarität konnte jederzeit wieder gelöst werden, während das Lehensverhältnis ja ein lebenslängliches war. Die mächtigen Herren wie die Güssinger nahmen Gefolgsleute in den Kreis ihrer familia auf, wobei diese einen Treueeid zu leisten hatten. Der Erwerb neuer Burgen hatte jeweils die Vergrößerung der familia zur Folge und damit auch größere militärische Macht. Eine interessante Frage ist, woher die familiares, der "niedere Adel", kamen. Es scheinen mehrere Gruppen zur Entstehung dieser damals in Ungarn neuen Schicht beigetragen zu haben: einerseits kleinere, freie Grundbesitzer, nicht selten "ausländische" Ritter, die als "Gäste" ins Land gekommen waren, oder auch weniger erfolgreiche Angehörige der "großen" Familien, die sich in die familia des Mächtigen begaben und von seinem Aufstieg profitierten, ferner bisherige "Königsdiener", also Angehörige der Königsgefolgschaft, und schließlich die früheren Besatzungen der Königsburgen, die in dieser Zeit "arbeitslos" wurden, da immer mehr Krongut verschenkt wurde. Diese verschiedenen Gruppen wuchsen in der "familia" der Großen zusammen und nannten sich in der Folgezeit "nobiles de comitatu", also Komitatsadel. Am ehesten kann man sie mit den Ministerialen in den deutschen Ländern vergleichen.
Im Dienst der Grafen von Güssing stellten die familiares und bezahlte Soldritter so ein "Privatheer", das anscheinend gut durchorganisiert war und nach Fügedi durchaus 3000 Mann umfasst haben könnte. Auf Seiten der Güssinger findet man aber auch die Pfeilschützen von Deutsch - Schützen, obwohl diese dem König unterstanden.
Die Macht der Güssinger
"Durch die Übernahme vieler Hofämter, weltlicher und geistlicher Würden weiteten sie ihre Macht, Einflusssphäre und ihren Besitz über das ganze Königreich vom slawonisch -kroatischen Gebiet bis zur Nordgrenze gegen Polen (Tatra-Lomnitz) systematisch aus. Die Schwäche der ungarischen Zentralmacht am Ende der Arpadendynastie nützend, erwarben sie einen riesigen Komplex von Burgherrschaften; mit ihrer Ämter- und Machtfülle galten sie als „Kleinkönige", mit einer großen Gefolgschaft abhängiger Dienstmannen, einer eigenen Hofkanzlei, einem selbstständigen Heer. An ihren Burgen, vor allem am Hauptsitz in Güns, blühten die ritterliche Kultur, Dichtung und das Spielmannswesen nach westlichem Vorbild. Ihre auf möglichst große Unabhängigkeit von der Zentralmacht zielende Politik forderte nicht nur den schwachen König zu vergeblichen Disziplinierungsversuchen heraus, sondern auch Albrecht I., Herzog von Österreich und Steiermark, den Sohn des deutschen Königs Rudolf I. Von einem vergeblichen Feldzug von König Ladislaus IV. hören wir im Jahre 1274, als er vor Burg Schlaining lag, auch spätere Angriffe auf Bernstein schlugen fehl." (Harald Prickler In: Stadtgemeinde Stadtschlaining. S. 33)
Die Güssinger und das Landeswappen
Das Güssinger Wappen – der von Rot und Kürsch dreimal gespaltene Wappenschild – bildet heute das Herzschild des burgenländischen Adlers.

